Vor 45 Jahren rollten die ersten Wagen von Hessens ältestem Museumszug HESSENCOURRIER über Nordhessische Gleise und damit länger als manche Kleinbahn. Vor 40 Jahren wurden die Vereine HESSENCOURRIER e.V. und Arbeitskreis Historischer Zug Kassel e.V. gegründet.
Von der auf Schienen gestellten und mit Spurkranzrädern versehenen Postkutsche bis zum heutigen ICE spannt sich ein weiter Bogen technischer Entwicklung. Der HESSENCOURRIER möchte mit seiner Sammlung ein Stück dieses Weges technischer Entwicklung am Objekt aufzeigen und der Nachwelt überliefern. So wird für den interessierten Fahrgast der Fortschritt der Technik am eigenen Leibe spürbar, aber auch der Hauch einer Epoche, die noch einen anderen Bezug zu Raum und Zeit hatte.
Der Beginn.
Im Jahr 1970 wurden Kasseler Eisenbahnfreunden von der damaligen Kleinbahn Kassel-Naumburg zwei Personenwagen angeboten. Ende 1970 erfolgte der Kauf. Damit beginnt die Geschichte des HESSENCOURRIER. In den folgenden Jahren wurden weitere Fahrzeugraritäten vor der drohenden Verschrottung gerettet. Für die Initiatoren und Mitarbeiter des Zuges wurde die Gründung eines den Zug betreuenden und betreibenden Museumseisenbahn-Vereins mit entsprechender Satzung unumgänglich. Am 18. Februar 1977 wurde der Verein HESSENCOURRIER e.V. gegründet, Er führt den Betrieb des Zuges durch. Schon kurz danach, am 26. September 1977 entstand bei Vorstands- und Mitgliedergleichheit als zweiter Verein der Arbeitskreis Historischer Zug Kassel e.V. zum Sammeln von Spenden und zum Kauf weiterer Fahrzeuge.
Die Fahrzeugsammlung hatte das Ziel, preußisch-hessische Nebenbahn- und Kleinbahnfahrzeuge zu erhalten. Zielstrebig wurden zu diesem Thema passende Lokomotiven und Wagen erworben und größtenteils wieder betriebsfähig hergerichtet. Der Verein hat sich mittlerweile zu einem unverzichtbaren Element in der nordhessischen Museumslandschaft entwickelt, das an die historische Bedeutung der Eisenbahn für die Mobilität unserer Zeit erinnert. Von Beginn an war nicht nur eine Sammlung sondern darüber hinaus auch eine betriebsfähige Erhaltung von Fahrzeugen geplant, um das Reisen und die mit ihm verbundene Technik im frühen vorigen Jahrhundert zu demonstrieren. Das älteste Fahrzeug, ein Wagen, stammt aus dem Jahr 1894, das neueste, eine Diesellokomotive, wurde 1958 ausgeliefert. Die Wagen des HC stammen bis auf Ausnahmen von Hessischen Neben- und Kleinbahnen oder waren dort in Betrieb.
Die Fahrzeuge
Ab 1972 wurde nach geeigneten Objekten Ausschau gehalten. Es wurden Wagen der Hersfelder Kreisbahn und der Gelnhäuser Kreisbahn zu erworben wie auch Raritäten wie der original „Schwalbacher“ Wagen (ein kurzer vierachsiger Wagen für den Bäderverkehr Wiesbaden – Bad Schwalbach) und ein preußischer dreiachsiger Nebenbahnwagen. 1977 war es bereits ein Zug von 8 betriebsfähigen Wagen.
Ab 1977 wurde auch über den Kauf eigener Triebfahrzeuge nachgedacht. Am 1. Dezember 1977 wurde der Prototyp der kleinsten Henschel-Industriedampflokomotive, gebaut 1952, gekauft. Nach Einbau einer Druckluftbremsanlage unternahm die HC 5 genannte Lok am 10. November 1978 ihre Jungfernfahrt.
Der Erfolg des Dampfbetriebes zeigte sich in steigenden Fahrgastzahlen. Nach 2 Jahren reichte die Leistung der HC 5 nicht mehr aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. Es lag nahe, die in Naumburg als Denkmal auf einem Sockel am Bahnhof aufgestellte letzte Dampflok (206) der KNE zu reaktivieren.
Zwei Jahre dauerte die Hauptuntersuchung der 206, die weitgehend in eigener Regie von Vereinsmitgliedern durchgeführt wurde Am 7. September 1985 wurde die Lok bei einer Sonderfahrt mit zahlreichen Prominenten wieder in Betrieb genommen und auf den Namen „Naumburg“ getauft. Im März 1985 stiftete die Enka dem Verein die 2-achsige Lok Nr. 3.
Wegen der starken Beanspruchung der Lok HC 206 und der näher kommende Hauptuntersuchung wurde eine weitere leistungsfähige Lok gesucht. Nach über einjährigen Verhandlungen erwarb der Arbeitskreis aus Polen die frisch untersuchte Schlepptenderlok der Baureihe 52 4544. Sie traf am 16. März 1990 in Kassel ein. Am 19. Mai erfolgte die Betriebsgenehmigung. Als letzte Dampflok kauften wir die einzige noch vorhandene Lok der BR 81 der ehemaligen Deutschen Reichsbahn, die 81 004. Nach ihrer Ausmusterung bei der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1963 stand sie viele Jahre als Blickfang vor einem Baumarkt in Norddeutschland.
Damit gehören heute fünf Dampflokomotiv-Grundtypen zur Sammlung: HC 5 = Nassdampf-Industrietenderlok; HC 206 = Privatbahn-Heissdampftenderlok; HC 52 4544 = Reichsbahn Heissdampf-Güterzuglok mit Schlepptender; HC 81 004 = Reichsbahn Tenderlok, HC 3 = feuerlose Industrielok.
Für schwerere Arbeitszüge, Streckenarbeiten und die Überführung von Wagen von und nach Naumburg, aber auch für Personenzüge und als Nachschublok erwarben wir im Juli 2001 eine 650 PS starke Diesellokomotive mit Stangenantrieb, gebaut 1956 bei der Maschinenfabrik Kiel (MAK). Mit diesem Loktyp begann seinerzeit die Modernisierung und Rationalisierung privater Nebenbahnen. Die KNE besaß zwei ähnliche Maschinen von Henschel.
Zum Zusammenstellen der Züge und das Bewegen der kalten Dampfloks kauften wir zwei Diesel-Kleinlokomotiven (Typ Köf). Für Arbeiten an der Strecke schafften wir ein Arbeitsfahrzeug (Robel-Klv) mit einem hydraulischen Greifer und einem Anhänger an. Ein Zweiwegebagger ergänzt ihn. Letzter Lokzugang war eine bei Henschel gebaute Kleindiesellok mit diesel-elektischem Antrieb. Wir erhielten sie im Februar 2003 als Spende der Fa. Bombardier (Henschel-Nachfolger).
Je nach Gelegenheit wurden auch weitere Wagen für die Sammlung beschafft. Wiederherstellung und Erhaltung der Wagen erfolgen durch die Mitglieder, in einigen Fällen auch mit ABM- oder Berufsbildungs-Kräften. Der Aufbau bis zur Inbetriebnahme dauerte oftmals monate-, auch jahrelang und verschlang erhebliche Geldmittel.
Inzwischen wurde auch ein Güterzug mit den wichtigsten Güterwagentypen für verschiedene Transportaufgaben aus 6 Jahrzehnten aufgebaut. Drei gedeckter Güterwagen, ein offener Wagen, drei Flachwagen für die die Streckenunterhaltung, ein preußischer Güterzugpackwagen. Dazu gibt es weitere als Werkstätten und Lagerräume eingerichtete gedeckte Güterwagen, Flachwagen, einen Kesselwagen und einen Kranwagen.
Mit der Fahrzeugsammlung wird nahezu lückenlos die Entwicklung Personenwagen 1885 bis 1956 aufgezeigt und als technikgeschichtliches Zeugnis betriebsfähig erhalten. Der Fahrzeugpark des HESSENCOURRIER ermöglicht es, typische Zugkompositionen der Preußenzeit (bis 1921), der Reichsbahnzeit (1922-1945), der Zeit nach 1945 wie auch der Kleinbahnen zu bilden. Mit der Originallok ex KN 206, den 5 Kleinbahnwagen der KN und älteren Güterwagentypen kann ein typischer gemischter Kleinbahnzug zusammengestellt werden, wie er fast 4 Jahrzehnte lang auf der „Naumburger“ fuhr. Er ist das Prunkstück unserer Sammlung.
Sie besteht heute aus folgenden Fahrzeugen:
5 Dampfloks (3 in Betrieb oder Untersuchung, 2 abgestellt), 1 Diesellok, 3 Dieselkleinlok (alle betriebsfähig), 1 Draisine (VW Bus), 1 Klv (Arbeitsfahrzeug, in Betrieb), 19 Personenwagen (15 betriebsfähig, 4 abgestellt), 3 Packwagen (3 betriebsfähig), 19 Güterwagen (5 betriebsfähig), 1 Zweiwegebagger, 1 Bagger zum Bekohlen, insgesamt 53 Fahrzeuge.
Der Betrieb – auf eigenem Gleis.
In den ersten Jahren, als wir noch keine eigenen Lokomotiven hatten, führte die KNE die Untersuchungen in ihrer Werkstatt aus und zog mit ihren Diesellokomotiven unsere Züge. Ein KNE-Zugführer übte die Aufsicht aus. Die Schaffner waren Vereinsmitglieder, die ihre erste Ausbildung bei einem befreundeten Bundesbahner erhielten.
Bis 1977 bestand noch die Bundesbahndirektion Kassel, zu der wir gute Verbindungen hatten. Mit Dampflokomotiven anderer Museumsbahnen befuhren wir häufiger nordhessische Strecken. Der HESSENCOURRIER fuhr 1973 beim DB-Jubiläum „125 Jahre Friedrich-Wilhelms-Nordbahn“, 1974 für die Touristikfirma „Hummel Reisen“ mehrere Bummelfahrten in Kassels Umgebung. 3 unserer Wagen nahmen am Jubiläum 150 Jahre Deutsche Eisenbahn in Nürnberg teil. Krönung waren 1990 Fahrten auf der Neubaustrecke zu deren Einweihung. Nach Auflösung der BD Kassel wurde die Strecke der KNE nach Naumburg zu unserer Hausstrecke.
Um eine Stilllegung des Streckenabschnitts Großenritte – Naumburg, Teil der früheren Kleinbahn Kassel-Naumburg, zu verhindern, gründeten 1992 die Gemeinden Baunatal, Schauenburg, Bad Emstal, Naumburg, der Landkreis Kassel sowie die Vereine Hessencourrier und Arbeitskreis Historischer Zug Kassel den Verein „Regionalmuseum Naumburger Kleinbahn e.V.“ Dieser pachtete die Strecke und beschafft finanzielle Mittel, die zur Unterhaltung der Bahnstrecke erforderlich sind. Für den Betrieb und die Unterhaltung der Strecke ist der Hessencourrier verantwortlich. Der Verein stellt den Eisenbahnbetriebsleiter und ist zugelassenes Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Eisenbahn Infrastrukturunternehmen (EIU).
Die Mitglieder – sie leisten eine umfangreiche Arbeit
Wer sind die Menschen, die in ihrer Freizeit eine private Eisenbahn betreiben, was motiviert sie, welche Voraussetzungen sind dazu erfoderlich?
Das wichtigste und verbindende Element aller Beteiligten ist das Interesse an und die Liebe zur Eisenbahn. Die Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Berufen. Berufseisenbahner waren nicht darunter, jedoch wurden einige Mitglieder hauptberufliche Eisenbahner. Wichtigste Forderung an unsere Mitglieder ist Zuverlässigkeit: „Der Zug muss fahren, Sicherheit ist oberstes Ziel, Eisenbahn ist Teamwork.“ Bestimmte berufliche Fähigkeiten sind zwar wünschenswert, aber keinesfalls Voraussetzung zum Mitmachen. Auf diese Weise kann jeder nach Wunsch und Fähigkeit bei der gemeinsamen Arbeit am Hobby mitmachen und Ausgleich zum Alltag finden. Eisenbahn-Interessenten, denen die Zeit oder die Gelegenheit zum persönlichen Einsatz fehlen, haben wir satzungsgemäß den Status „Förderer“ eingeführt. Mit Geldspenden ist auch diese Art der Hilfe ein wertvoller Beitrag zur Erhaltung unserer Sammlung.
Die Vielfalt der Aufgaben reicht von der Verwaltung über die Finanzierung, Einarbeitung in die einschlägigen Gesetze, Werbung, die zahlreichen Unterhaltungsarbeiten wie schweissen, drehen, Blech und Holz bearbeiten, anstreichen, Fahrzeuge säubern, Betrieb eines Buffetwagens, Freiluftarbeiten an der Strecke bis zur Durchführung des Betriebes mit Kenntnis der Vorschriften und Ablegung der erforderlichen Prüfungen. Die Fertigkeiten und notwendige Ausbildung dazu werden vom Verein an die Mitglieder vermittelt. Betrieblich und rechtlich unterliegen die Mitglieder, die im Betrieb tätig sind, denselben Anforderungen wie Profi-Eisenbahner. Sie müssen deshalb Prüfungen ablegen, regelmäßig bahnärztlich untersucht werden, an Fortbildungen teilnehmen. So erfordert gerade dieses Hobby mehr als die meisten anderen vom Einzelnen hohes Verantwortungs- und Risikobewusstsein und persönlichen Einsatz.
Lohn der Mühe? Die Antwort darauf findet sich sicher nicht auf materieller Ebene. Aber: Herr zu sein über 1500 Pferdestärken (Lokführer und Heizer), freudige und dankbare Fahrgäste zu befördern (Zugführer, Schaffner und Buffetpersonal), aus einem Schrotthaufen wieder eine Lokomotive oder einen Wagen herzustellen (unsere Werkstatt) oder nur die Arbeit am Bahndamm in freier Natur sind Erlebnisse und Werte, die in einer Gesellschaft, in welcher der Erwerb materieller Güter eine oft beängstigend hohe Bedeutung für das Ansehen des Einzelnen besitzt, zur Zufriedenheit und für viele auch zur Selbstverwirklichung beitragenIm Jahr 1988 erhielt der Verein den Kasseler Denkmalspreis, im Jahr 2010 wurde ihm der hessische Denkmalspreis verliehen. Außerdem wurden mehrere Projekte vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur sowie der hessischen Denkmalspflege gefördert, beides auch eine Anerkennung für die Vereinsarbeit und deren Öffentlichkeitswirkung.
Klaus Schulte